Die Organisation Schule

Die Organisation Schule

​Im Buch „Re-Inventing Organisations“von Frederic Laloux – einem Leitfaden für sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit – werden Fallbeispiele aus unterschiedlichsten Lebensbereichen besprochen, darunter ist auch eine bzw. „nur“ eine Schule – die evangelische Schule Berlin Zentrum. Schulen sind insofern zwar durchaus Organisationen, die mit Versicherungskonzernen, Krankenhäusern, metallverarbeitenden Betrieben oder Nahrungsmittelherstellern verglichen werden können. Gleichzeitig unterliegen sie auch besonderen Bedingungen, die sie von anderen Organisationen unterscheiden und die sich darauf auswirken, wie anpassungsfähig sie sind.  

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Organisationale Besonderheiten

​Schulen sind insbesondere Expertenorganisationen, in denen nur ein kleiner Teil nicht-pädagogischen Personals (Haustechnik, Sekretariat, Verwaltungsassistenz) und/oder nicht-lehrenden Personals (Sozialarbeiter, Schulbegleiter, Unterstützungskräfte) arbeitet. Die meisten Mitarbeitenden verfügen über sehr hohe Bildungsabschlüsse und in Deutschland in der Regel über zwei Staatsexamina.  

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​Für das lehrende und nicht-lehrende Personal in deutschen Schulen gibt es unterschiedliche personelle Zuständigkeiten, nämlich einmal der Schulträger (nicht-lehrendes Personal) und einmal die Schulaufsicht. Für die Schulverwaltungsassistenzen ist jedoch die Schulaufsicht zuständig, in diesem Fall die obere Schulaufsicht.  

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​Die Schulleitung ist nicht für alle Fragen personeller Ressourcen selbst zuständig. Bei den wichtigen Fragen der Einstellung, Beförderung oder Entlassung wirkt sie in der Regel lediglich mit – die letzte Entscheidung liegt bei der Schulaufsicht außerhalb der Schule. 

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​Die Ratio Mitarbeitende(r) pro pädagogischer Führungskraft fällt sehr unterschiedlich aus. In kleinen Organisationen kann sie bei 1:10 liegen, in großen Schulen auch bei 1:100. Mittlere Führungsebenen existieren zwar in fachlicher Hinsicht, ihnen kommt aber in der Regel keine Personalverantwortung zu.  

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​Die Produktivität von schulischen Organisationen ist nur teilweise messbar, z.B. in Form von Bildungsabschlüssen Übergangsquoten und fremdsprachlichen Referenzniveaus. Andere Ergebnisse wie Mündigkeit, Selbstbewusstsein oder gar individuelle Reife sind schwerer zu erfassen und zu vergleichen.  

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​Schulen können ihre Entwicklungsziele nur in dem Rahmen selbst festlegen, der durch die Schulaufsicht gesetzt wird.  

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​Die Vorstellungen von Qualität einer Schule unterscheiden sich in den verschiedenen Anspruchsgruppen und Schulstandorten. Schulaufsicht, Eltern, Schüler:innen und Mitarbeitende setzen bezüglich der Qualitäts-Maßstäbe unterschiedliche Prioritäten. Best Practice-Beispiele aus anderen Organisationen lassen sich daher nur selten übertragen. 

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Daraus folgt…

​Viele dieser Faktoren erschweren es Schulleitungen im Leadership und Management in dem Sinne erfolgreich zu wirken, dass alle Anspruchsgruppen zufrieden mit den Ergebnissen sind. Dies trifft insbesondere auf schulische Organisationen zu, die sich als gut geölte Maschine mit Spezialisten und verantwortlichem Maschinisten betrachtet und erst Recht auf Organisationen, in denen Zusammenhalt über das Ausüben von Macht hergestellt wird. Die Schulleitung selbst übt zwar einen enorm großen Einfluss auf die Qualität der Schule aus, kann diesen Einfluss aber nicht über direkte Einflussnahme und Ausübung von Macht geltend machen. Sie ist weder Rudel-Führer noch Ingenieur.  

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​Es sind gerade diese einschränkenden Faktoren, die Schulen gerade deswegen zu einem idealen Ort machen, neue Formen der sinnstiftenden Zusammenarbeit erfolgreich zu praktizieren. 

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​Die hohen Bildungsabschlüsse und die beruflichen Anforderungen an Lehrkräfte befähigen Sie in besonderem Maße zur Selbststeuerung. Außerdem gibt es ein großes Bedürfnis nach Autonomie, das mit der Idee von starker externer Lenkung  kollidiert. Lenkende Impulse aus der Schulaufsicht treffen häufig auf reflexartigen starken Widerstand. Gleichzeitig identifizieren sich Lehrkräfte mit ihrer Aufgabe in hohem Maße und sind bereit an einer die Gemeinschaft fördernden Vision mitzuwirken. Sie achten aufeinander und sind bereit auf ihre unterschiedlichen Bedürfnisse innerhalb der Kollegiums-Gruppe Rücksicht zu nehmen. 

Maßnahmen

​Folgende vier Maßnahmen ebnen den Weg zu einer sinnstiftenden Organisation, die die Selbstführung der Mitarbeitenden in den Vordergrund stellt: 

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​Veränderung der Meeting-Kultur:  

​Sie können Meeting-Praktiken (vgl. Kapitel X) einführen, die dazu beitragen, dass alle Menschen sich ganz einbringen können und nicht nur diejenigen, die selbstbewusst und (vor)laut auftreten. Überlassen Sie die Verantwortung für diese Treffen und Konferenzen konsequent denjenigen, die sich am besten mit den Themen auskennen statt denjenigen, die formal hervorgehobene Positionen haben. 

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​Nutzung des Onboarding-Moments:  

​Die Zeit, die man sich nimmt, um neue Mitarbeitende einzuführen, zahlt sich vielfach aus. Hier ist die Gelegenheit die Vision des gemeinsamen Leitbildes mit Freude und Begeisterung zu teilen und die Mitarbeitenden vom ersten Moment dafür zu gewinnen. Hier können die Regeln der Zusammenarbeit erklärt und Mut gemacht werden, Verantwortung für die Organisation zu übernehmen. Das gilt nicht nur für ganz neu eingestellte Mitarbeitende sondern auch für diejenigen, die nach Elternzeiten, längeren Erkrankungen oder Sabbaticals zurückkehren und einige Zwischenschritte in der Transformation nicht miterlebt haben.  

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​Darstellung der Organisation im Kreismodell: 

​Statt eines sich immer weiter verzweigenden pyramidenhaften Organigramms mit der Schulleitung an der Spitze lässt sich die Schule als Organisation im Kreis darstellen, in dessen Mitte die gemeinsam erarbeitete Vision steht und außen die Anspruchsgruppen der Schüler: innen, Eltern, Gesamtgesellschaft. So wird klar, dass die Schule nicht von oben nach unten, sondern von innen nach außen organisiert ist. Alle Entscheidungen gehen von der gemeinsamen Vision aus statt von einzelnen Personen und alle Entscheidungen sind immer bezogen auf diejenigen Gruppen, für die die Schule Verantwortung trägt -also in erster Linie die Schülerinnen und Schüler. Wenn auf der Grundlage einer solchen Vorlage alle Lehrkräfte daran mitwirken, die bestehende oben/unten-Schulorganisation als „innen-außen“ darzustellen, ändert sich auch das Denken über die Organisation in einem ersten grundlegenden Schritt. 

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​Bedeutung der Räume: 

​Emotionen und Erfahrungen sind stark mit Orten verknüpft. Jeder hat schon einmal erlebt, was es bedeutet, einen Ort zu betreten, an dem starke positive oder negative Erfahrungen gemacht wurden. Wenn schulische Organisationen auf einen gemeinsamen Sinn bezogen und von einer gemeinsamen Vision getragen arbeiten sollen, dann gehört nicht nur die gemeinsame Gestaltung der Vision selbst dazu, sondern auch die gemeinsame Gestaltung der Schule als Ort, in dem die Vision ihre Heimat haben soll. Mitarbeitende können bei der Auswahl von Möbeln, der Gestaltung von Fluren und Klassenräumen, der Planung von neuen Nutzungsmöglichkeiten oder auch der Begrünung von Dachterrassen und Schulhöfen mitwirken. So können sie den physischen Ort zu einem gemeinsamen Ort für die miteinander geteilte Vision machen. Die Gestaltung des Ortes der Zusammenarbeit als eine Aufgabe für Lehrkräfte des Faches Kunst zu betrachten oder gar ausschließlich für die Angestellten des Schulträgers, ist eine vertane Chance. 

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​Pflege der Gemeinsamkeit: 

​Das physische Zusammenkommen der gesamten Schulgemeinschaft macht sie als Ganzes erlebbar. Das kann vor den Weihnachtsferien am Ende des Kalenderjahres und vor dem Beginn der Sommerferien sein oder sogar zu einem festen wöchentlichen Termin. Dort können gemeinsame Erfolge gefeiert, Begrüßungen und Verabschiedungen durchgeführt werden und Bekanntmachungen gemacht werden, die alle betreffen. Hier ist auch die Gelegenheit, immer wieder den Bezug zum Leitbild als geteilter Vision herzustellen. Auch bei anderen Gelegenheiten, wo möglichst große Teile der Schulgemeinschaft Gelegenheit zur Zusammenkunft haben, wird die Gemeinsamkeit gepflegt: Weihnachtsmärkte, Stufenpartys, Sommerfeste etc. können möglichst vielfältigen Raum für Begegnungen, Austausch und damit Identifikation mit der Organisation bieten. 

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Fazit

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​Eine sinnstiftende Organisation entsteht also durch die Pflege der Gemeinschaft, denn ohne Gemeinschaft keine gemeinschaftliche Vision und ohne diese keine sinnstiftende Organisation mit von allen akzeptierten Regeln und Strukturen. Regeln und Strukturen formen also nicht die Organisation, sondern die gemeinsame Idee von der Organisation formt die Regeln und Strukturen. Für ein gutes Organisations-Design gilt also das gleiche wie für gutes Design: Form follows Function. 


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